Was ist Bürgern wichtig bei der Vergütung von Krebsmedikamenten? – ein Beispiel aus Kanada

Was ist Bürgern wichtig bei der Vergütung von Krebsmedikamenten? – ein Beispiel aus Kanada

Zusammenfassung

In Kanada trafen sich 2016 insgesamt 115 Bürger*innen in sechs Gruppen (Panels). Sie waren anhand von vorgegebenen Kriterien ausgewählt worden. Als Gruppe entschieden sich die Teilnehmenden, dass gute, vertrauenswürdige Entscheidungen zur Vergütung von Krebsmedikamenten wichtig sind. Hierzu gehörte, dass Krebsmedikamente bezahlbar und die Entscheidungsfindung nachhaltig und chancengerecht sein sollte. Sie befürworteten auch das Stornieren der Vergütung, wenn dies Daten aus der realen Versorgung und Studien zu Kosten und Wirksamkeit nahelegen und wenn die damit behandelten Patient*innen noch dabeibleiben können, bis Alternativen zur Verfügung stehen. Weiter wurde ein einheitliches Vorgehen bei der Vergütungsentscheidung für das ganze Land und alle Kanadier gewünscht.

Das aktuelle Thema der auf die erkrankte Person angepassten, hochpreisigen Krebsmedikationen wurde in dieser Studie nicht behandelt. Auch in der Schweiz könnte hier ein Panel die wichtige Perspektive von Bürger*innen und Angehörigen einbringen, zusätzlich zu allen Fachleuten.

Hintergrund

Die Herstellung der neuen Krebsmedikationen ist komplex und auf die einzelnen Patient*innen abgestimmt. Damit ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, aber auch Probleme, die mit dem hohen Preis und der Verfügbarkeit zusammenhängen: Können diese neuen Krebsmedikamente auch zukünftig allen, die sie benötigen, zur Verfügung gestellt werden? Wie kann man möglichst fair und nachhaltig entscheiden, ob ein solches Medikament vergütet werden soll oder nicht? Diese Fragen beschäftigen nicht nur Patienten, die Gesundheitspolitik, die Ärzteschaft, Forschende und die Pharma-Industrie, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger.

Studieneigenschaften

In Kanada wurden sechs Panels mit insgesamt 115 Bürgerinnen und Bürgern durchgeführt. Bezüglich demografischen Merkmalen, eigener Erfahrung mit chronischen Krankheiten als Patient oder Angehörige, sowie verschiedenen Lebenserfahrungen wurde eine balancierte Gruppe angestrebt. Selber durften sie nicht im Gesundheitswesen, der Tabak- oder pharmazeutischen Industrie etc. tätig sein. Die Panels hatten denselben, erprobten Ablauf: Die Bürger bekamen allgemein verständliche Informationen zur Vorbereitung. Ein Krebsarzt und ein Vertreter einer Patientenorganisation beantworteten Fragen. Dann wurden den Teilnehmenden Szenarien zur Entscheidung vorgelegt, welcher spezifische Gesundheitseffekt (verbesserte Lebensqualität oder Lebensverlängerung) sie zu welchem Preis gerechtfertigt fanden (z.B. Verdoppelung der Kosten). Die Teilnehmenden verhandelten weiter alle eingebrachten Empfehlungen und stimmten zum Schluss darüber ab.

Wichtigste Resultate

  • Der chancengerechte Zugang zu den Krebstherapien wurde in allen Panels als wichtig eingestuft. Es wurde auch empfohlen, ein Gremium einzuführen, welches überprüft, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen nicht übergangen werden.
  • Es zeigte sich, dass informierte Bürger*innen, Entscheide mit begrenztem Budget fällen können. In den Szenarien war eine Verdoppelung der Kosten, das heisst ein signifikanter Kostenanstieg, nur verbunden mit einer Lebensverlängerung von mindestens 12 Monaten akzeptiert. Zudem wurde von Einzelnen festgehalten, dass höhere Kosten gerechtfertigt sind, wenn es ein Krebsmedikament ermöglicht, unabhängig zu leben und es die psychische Gesundheit verbessert.
  • Die Kostenübernahme von Krebsmedikamenten soll auf klaren Kriterien beruhen, sodass die Entscheide adäquat, nachvollziehbar, unverzerrt, vertrauenswürding und ohne Interessenkonflikte gefällt werden können. «Alter» als Kriterium wurde dabei von allen Panels explizit zurückgewiesen. Ein national einheitliches Vorgehen bei Vergütungsentscheiden wurde favorisiert.
  • Dass aktuell zugelassene Krebsmedikamente überprüft und allenfalls nach einem neuen Vorgehen beurteilt werden sollen, fand eine starke Unterstützung. Dies sollte mit Daten aus der realen Versorgung und Studien zu Kosten und Wirksamkeit geschehen. Dabei unterstützten die Teilnehmenden ein Abwägen von Kosten und Nutzen von vergleichbaren Medikamenten. Es wurde vorgeschlagen, dass eingesparte Kosten in Krebsmedikamente oder in die Krebsforschung reinvestiert werden.

Relevanz

Solche Beratungen zu aktuellen Themen helfen bei der Beurteilung von Entscheidungsprozessen. Sie tragen zu einer breiter abgestützten Entscheidungsfindung bei und zeigen, dass auch komplexe Gesundheitsthemen von der Öffentlichkeit verstanden und beurteilt werden können. Damit könnten sie auch für die Schweiz eine Option darstellen.

Offen bleibt

Das aktuelle Thema der an die erkrankte Person angepassten, hochpreisigen Krebsmedikationen wurde in dieser Studie nicht behandelt. Weitere Aspekte, wie das Gesamtbudget für die Gesundheitsversorgung, seltene Krebsarten und das Krankheitsstadium, sowie die Organisation der Überprüfung der Krebsmedikamente waren nicht Thema dieser Studie.

Autorin

Margot Mütsch

Datum: 3. September 2019

Titelbild: unsplash/ Marek Studzinski