Viele Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen erhalten keine adäquate Behandlung. Wie kann ihnen geholfen werden, eine solche zu erhalten?

Viele Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen erhalten keine adäquate Behandlung. Wie kann ihnen geholfen werden, eine solche zu erhalten?

Zusammenfassung

Bei Kindern und Jugendlichen treten psychische Erkrankungen immer häufiger auf, auch in der Schweiz. Viele Betroffene nehmen keine professionelle Behandlung in Anspruch, obwohl eine solche aus medizinischer Sicht angezeigt wäre. Verschiedene Barrieren erschweren diesen Patientinnen und Patienten den Zugang zur Behandlung. Die in diesem Blog vorgestellte Studie versucht aufzuzeigen, welche Massnahmen den Zugang zur benötigten Behandlung erleichtern könnten.

In einem ersten Schritt ist die Vermittlung allgemeinen Gesundheitswissens und die Identifikation potentiell betroffener Kinder und Jugendliche im schulischen Umfeld wichtig. Damit können in einem zweiten Schritt diejenigen Individuen, die als gefährdet eingestuft werden, und deren Bezugspersonen motiviert werden, eine wirksame Behandlung in Anspruch zu nehmen.

Hintergrund

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen werden immer häufiger diagnostiziert und betreffen aktuell zwischen 10 und 30% von Personen unter 18 Jahren. Da sie bereits oft früh im Leben auftreten, durch wiederkehrende Episoden gekennzeichnet sind und einen grossen Einfluss auf Arbeitsleistung haben, haben psychische Erkrankungen erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft. Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen wird durch fehlendes Wissen, Stigmata und andere Barrieren erschwert. Obwohl Massnahmen bekannt sind, welche den Zugang verbessern können, fehlt bis jetzt ein Überblick darüber und deren wissenschaftliche Evidenz. Diese Studie hat Massnahmen, die in randomisierten Untersuchungen getestet wurden, systematisch identifiziert und zusammengefasst.

Studieneigenschaften

Die Autoren der Studie haben am 15. Mai 2019 die wissenschaftliche Literatur systematisch in Literaturdatenbanken durchsucht. Insgesamt 34 randomisierte Studien wurden für die Zusammenfassung berücksichtigt. Die gefundenen Studien haben beispielsweise das Wissen und die Einstellungen zu Behandlungsformen, Verhaltensabsichten oder tatsächlich unternommene Behandlungsschritte untersucht.

Hauptresultate und Empfehlungen

Die Studie nennt zwei Kategorien möglicher Massnahmen. Interventionen im schulischen Umfeld können Wissen und Einstellungen bezüglich professioneller psychischer Behandlung in der Allgemeinbevölkerung verbessern, aber potentiell von Krankheiten betroffene Individuen nehmen Behandlungen trotzdem nicht häufiger in Anspruch. Im Gegensatz dazu haben Interventionen für Individuen, die zuvor als gefährdet identifiziert wurden, den Zugang zu und die Zufriedenheit mit den Behandlungen verbessert. Die Ergebnisse legen nahe, dass es vermutlich zweistufige Interventionen braucht, um die Behandlungslücke in der Bevölkerung zu schliessen: Erstens müssen betroffene Individuen identifiziert werden, um sie, zweitens, für eine wirksame Behandlung zu motivieren.

Qualität der Evidenz

Nur randomisierte Studien von Interventionen wurden berücksichtigt. Diese Art von Studien erweist einen hohen Evidenzgrad. Die Autoren haben das Verzerrungsrisiko für jede Studie bewertet, das in der Regel von unklar bis zu geringem Risiko reichte.

Relevanz

Psychische Probleme treten bei Kindern und Jugendlichen häufig auf. Angesichts der grossen Behandlungslücke zwischen denjenigen, die an Versorgung gelangen, und denjenigen, die das nicht schaffen, ist es wichtig, wirksame Interventionen zu implementieren, um die Behandlungsraten zu verbessern.

Offen bleibt

Die Erkenntnisse dieser Forschung beruhen auf Daten anderer Länder, dürften aber auch für die Schweiz zutreffen. Dies müssen entsprechende Untersuchungen hierzulande zeigen.

Wie man betroffene Kinder und Jugendliche am besten identifiziert, muss ebenfalls noch genau definiert werden. In einigen Ländern werden bereits flächendeckende Screenings in der Schule zur Erkennung bestimmter körperlicher Beschwerden wie zum Beispiel Hörtests durchgeführt. Bevor ein Screening zur Erkennung von psychischen Problemen eingeführt werden kann, müssen dessen Vorteile und Nachteile sorgfältig gegeneinander abgewogen und mögliche Bedenken wie beispielsweise die Frage des Persönlichkeitsschutzes berücksichtigt werden.

Neben den untersuchten Hürden dürften die Rahmenbedingungen der Behandlungen (z.B. Distanzen, Kontaktmöglichkeiten) und vor allem deren Kosten auch wesentliche Hindernisse für eine Behandlung sein. Diese Faktoren waren jedoch nicht Gegenstand der Untersuchungen, da hierzu bislang keine randomisierten Studien existieren.

Autorin

Laura Werlen studierte Public Health Epidemiologie am Karolinska Institutet in Stockholm und absolvierte danach ein PhD-Studium in Epidemiologie und Biostatistik an der Universität Zürich. Aktuell arbeitet sie als Statistikerin am Departement Klinische Forschung des Universitätsspitals Basel.

Laura Werlen

Titelbild: unsplash.com/ Stavrialena Gontzou