«Wirklich schwere Symptome traten nur selten auf»

«Wirklich schwere Symptome traten nur selten auf»

Viele von uns haben sich seit Dezember 2020 gegen Covid impfen lassen. Die meisten von uns hatten meist nur milde und kurzzeitige Symptome, wie lokale Schmerzen, Kopfschmerzen oder Müdigkeit – um nur einige zu nennen. Dies zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie. Im Interview berichten Anja Frei und Oliver Bürzle, wie sie genau hierbei vorgegangen sind, von den Ergebnissen und was sie besonders erstaunt hat.

Wen habt ihr genau in eurer Studie untersucht?

Anja: Wir haben eine zufällige Auswahl – eine sogenannte Zufallsstichprobe der Bevölkerung – untersucht. Mit dem Ziel, so Rückschlüsse auf die Allgemeinbevölkerung machen zu können. Viele Studien untersuchten die Symptome nach der COVID-Impfung ausgewählter Personengruppen, beispielsweise im Rahmen von randomisierten, kontrollierten Studien oder von selektiven Meldungen an staatliche Überwachungssysteme. Wir dagegen hatten das grosse Glück, dass wir tatsächlich die Allgemeinbevölkerung einschliessen konnten, da wir am EBPI/Zentrum für Reisemedizin der Universität Zürich das Referenz-Impfzentrum des Kantons Zürich sind.

Und wie seid ihr vorgegangen?

Anja: Täglich haben sich Personen – so wie du wahrscheinlich auch – für die COVID-Impfung über das Impfportal der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich angemeldet. Von diesen haben wir dann zufällig Personen ausgewählt und sie per E-Mail angefragt, ob sie an unserer Studie mitmachen möchten. Sie konnten sich dann bei Interesse über einen Link zur Studie anmelden. Anschliessend haben wir ihnen Informationen über die Studie gesendet. Es ist ganz wichtig, dass die Menschen gut informiert sind.

Und für uns war es wichtig, die Studie gut zu planen, denn das Impfzentrum ist aus allen Nähten geplatzt. Die Studienteilnehmenden kamen gemeinsam mit anderen Hunderten von Menschen ins Impfzentrum, die sich alle impfen lassen wollten. Die Studienteilnehmenden haben wir gleich am Empfang abgefangen. Zunächst wurden sie nochmals persönlich über die Studie aufgeklärt und offiziell in die Studie eingeschlossen. Danach haben wir ihnen Blut entnommen, bevor sie dann geimpft wurden. Neben der Blutentnahme haben wir zu Studienbeginn und im zeitlichen Verlauf regelmässig verschiedene Daten der Teilnehmenden erfasst, unter anderem auch unerwünschte Wirkungen – bzw. Symptome nach der Impfung. Insgesamt haben 575 Personen an der Studie mitgemacht.

Wie habt ihr die Symptome genau erfasst?

Anja: Wir haben uns lange überlegt, wie wir dies am besten erfassen können. Schlussendlich haben wir den Studienteilnehmenden ein Symptomtagebuch mitgegeben, worin sie alle Symptome aufschreiben sollen, die nach der Impfung bei ihnen auftraten. Ziel war es, so möglichst offen zu bleiben. Wir haben mit Absicht nicht die bekannten Symptome, die in der Literatur bisher beschrieben wurden, auf eine Liste gesetzt und ihnen zum Ankreuzen gegeben. Hierdurch hätten wir sie ja beeinflusst und das wollten wir vermeiden. Wir wollten so neutral wie möglich die Teilnehmenden befragen und ihr subjektives Empfinden abfragen.

Oliver: Und wir haben diese Symptome nicht interpretiert. Wir wollten herausfinden: «Was haben die Menschen gespürt, und wie haben sie es selbst bewertet.»

Anja: Wir wollten es den Teilnehmenden mit dem Symptomtagebuch so einfach wie möglich machen, damit sie es auch wirklich ausfüllen. Im Tagebuch haben sie alle Symptome notiert mit genauer Angabe des Tages, wann sie begonnen und wieder geendet haben, den Schweregrad eingeschätzt und das Symptom beschrieben. Auch konnten sie Kommentare ergänzen. Das Besondere an unserer Studie war wirklich, dass Studienteilnehmende alle Symptome direkt dann aufschreiben sollten, sobald diese auftraten, und das über einen längeren Zeitraum.

Oliver: Die Studienteilnehmenden haben es sehr gewissenhaft ausgefüllt: So gab es Teilnehmende, denen ein Buch nicht gereicht hat und viele Zettel zusätzlich in das Buch legten. Daneben gab es auch solche, die nur wenig gespürt und aufgeschrieben haben. Die Teilnehmenden haben, wie gesagt, nebst Datum auch den empfundenen Schweregrad notiert. Gerade der subjektive Schweregrad ist ja für eine nächste Impfung enorm wichtig: D.h., wenn jemand das Gefühl hat, eine schwere unerwünschte Wirkung zu erfahren, dann ist das wichtiger, als wenn der Arzt das als schwer oder als leicht einteilt. Der subjektive Eindruck hat gezählt. In einem zweiten Schritt konnten sie noch eintragen, wie sie darauf reagiert haben: Ist das Problem von selbst wieder weggegangen? Haben sie selbstständig Medikamente eingenommen? Haben sie den Hausarzt konsultiert? Haben sie das telefonisch gemacht oder mussten sie in die Praxis gehen oder mussten sie sogar ins Spital? Hierdurch hatten wir dann noch einen zweiten Wert: Also neben dem subjektiven Eindruck auch noch, was sie unternehmen mussten, um die unerwünschten Wirkungen wieder loszuwerden. Und so glaube ich haben wir die ganzen Symptome sehr gut erfasst.

Welche Symptome traten am häufigsten nach der Impfung auf?

Oliver: Schön war, dass ich selbst im Impfzentrum gearbeitet habe und dann jeweils die Menschen fragen konnte: «Was haben Sie bei der letzten Impfung gespürt?». Und da war ich recht happy, dass diese Antworten mit denjenigen der Studienteilnehmenden übereingestimmt haben. Dass eben die häufigsten Symptome nach der Impfung «lokale Schmerzen», «Müdigkeit» und «Kopfschmerzen» waren. Das waren sehr unspezifische und milde Symptome, aber wurden von sehr vielen Menschen berichtet. Und wirklich schweren Symptome traten nur selten auf.

Und wann genau traten die Symptome auf?

Oliver: Die sind meistens sehr früh aufgetreten. 84% sind in den ersten vier bis fünf Tagen aufgetreten- also in der ersten Woche nach der Impfung. Diese Symptome hielten im Durchschnitt vier Tage an. Und je später nach der Impfung sie auftraten, desto schwieriger war es für uns, diese Symptome wirklich auf die Impfung zurückzuführen. Wir haben sie aber natürlich trotzdem immer noch eingeschlossen, denn das war ja genau eine der Stärken der Studie: Wir haben ungefiltert den subjektiven Eindruck der Teilnehmenden akzeptiert.

Und gab es Unterschiede je nach Impfstoff?

Oliver: Unsere Daten zeigten bezüglich Symptome keine grossen Unterschiede zwischen den eingesetzten Impfstoffen. Bei den zwei mRNA-Impfstoffen Moderna und Pfizer/BioNTech – waren die Symptome sehr ähnlich. Und beim Vektorimpfstoff – Johnson & Johnson – traten einzelne Symptome leicht häufiger auf.

Gab es Personen, die besonders häufig von Symptomen berichteten?

Oliver: Ja. Frauen waren mehr betroffen. Sie haben mehr Symptome geäussert. Interessant ist dabei, dass sie auch bei anderen Impfungen mehr reagieren. Das ist sicher etwas, das man in Zukunft noch genauer anschauen muss. Also «Wieso ist das so?», «Was könnte man eventuell in der Entwicklung noch machen, um dem entgegenzutreten?».

Weiter haben wir herausgefunden, dass diejenigen, die mit Moderna geimpft wurden, häufiger Symptome spürten. Das deckt sich auch mit dem, was man anekdotisch mitbekommen hat, z.B. wenn man sich im Familienkreis umgehört hat. Und auch allgemein in der Bevölkerung hörte man das immer wieder.
Dann gibt es noch einen Zusammenhang mit der Schulbildung: Je höher, um so mehr Symptomen spürten die Teilnehmenden.
Ein weiterer spannender Zusammenhang war, dass Menschen, die schon vor der Impfung in Kontakt mit dem Virus waren, die also einen positiven COVID-Test hatten oder schon Antikörper gebildet haben, stärker auf die Impfung reagierten bzw. von mehr Symptomen berichteten.

Wir haben bei der Auswertung auch versucht auf aktuelle Themen, wie Menstruationsbeschwerden aufgrund der Impfung, einzugehen. Bezüglich Menstruation zeigte sich, dass einige Frauen unter 50 Jahren von Menstruationsveränderungen berichtet haben, z.B. stärkere Zyklusblutungen oder mehr Beschwerden während der Menstruation. Man muss das aber ein bisschen relativieren in dem Sinn, dass Menstruationsbeschwerden generell eher schwierig zu erfassen sind. So findet man in der Literatur beispielsweise Zahlen, dass 30% der Frauen im Rahmen ihrer Menstruation von Zyklus- und Beschwerdeunregelmässigkeiten berichten. Das heisst, es ist sehr schwierig, eine Verbindung zur Impfung zu machen. Es ist aber sicher ein wichtiges Thema, von dem einige Frauen betroffen waren. Unsere Daten lassen es jedoch nicht zu, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und verstärkten Menstruationsbeschwerden oder Unregelmässigkeit der Menstruation zu beschreiben.

Was ist das Wichtigste aus eurer Sicht – insbesondere im Hinblick auf zukünftige Impfungen und allfällige Symptome, das wir beachten sollten? 

Oliver: Hierbei ist der Teil zur Einstellung bezüglich der eingeführten Massnahmen und das Vertrauen in Impfhersteller, Bundesamt für Gesundheit und Pharmaindustrie generell sehr interessant. Spannend war, dass die Menschen, die auf die Impfung gewartet haben und sich mit mRNA-Impfstoffen impfen liessen, sobald sie es konnten, ein sehr hohes Vertrauen ins System und alle Akteure hatten. Und da zeigte sich ein deutlicher Unterschied zu denjenigen, die auf die Vektorimpfung gewartet haben und die eher einen etwas «klassischeren Impfstoff» wollten. Diese Personen waren wesentlich skeptischer. Das zeigte mir: Dadurch, dass wir den Menschen die Wahl gelassen haben, auf einen anderen Impfstoff zu warten, haben wir auch Personen erreicht, die einiges skeptischer der Impfung und dem ganzen System gegenüber eingestellt waren. Diese verschiedenen Wahlmöglichkeiten wirkte sich positiv auf die Anzahl Impfungen aus.

Anja: Absolut einverstanden. Diejenigen, die weniger Vertrauen in das ganze System hatten, konnten wir dadurch noch erreichen. Zumindest einen Teil. Nicht alle.

Oliver: Und bei der Umsetzung der Massnahmen, wie beispielsweise Abstandsregeln oder das Masken tragen, waren die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht mehr so stark: Alle haben in etwa gleich viel die Massnahmen mitgetragen.

Anja: Das heisst, wir haben diejenigen, die gegen die Massnahmen waren, nicht erreicht. Auch nicht mit anderen Impfstoffen. Es gibt also eine Gruppe von Menschen, die sehr schwierig zu erreichen sind.

Für mich ist für zukünftige Impfungen sehr wichtig, dass man transparent kommuniziert. Unbedingt auch über mögliche Symptome. Es geistert so viel in den Medien herum. Deshalb ist es so wichtig, dass man klar und transparent kommuniziert, wenn Symptome beobachtet werden, wie diese aussehen, wie schwerwiegend sie sind und wer betroffen ist. Das ist extrem wichtig und zwar von Anfang an.

Oliver: Das mit der Transparenz haben wir von Anfang bis zum Schluss durchgezogen. Und wir haben an keinem Punkt der Studie die Symptome bewertet. Also wir haben nie gesagt: Das Symptom hat nichts mit der Impfung zu tun und deshalb fällt es raus. Es sind wirklich alle Symptome der Teilnehmenden in unsere Studie eingeschlossen. Und wir haben im Anhang unserer Veröffentlichung wirklich alle einzelnen Symptome der Teilnehmenden in einer Tabelle aufgeführt. 

Gab es etwas, was euch besonders erstaunt hat bei euren Ergebnissen?

Anja: Ich glaube für mich war erstaunlich, woran man alles denken muss bei der Organisation und Durchführung der Studie. Und die Gesundheitsfachpersonen, die geimpft haben, hatten es nicht immer einfach. Am Anfang wurden sie von einzelnen Menschen angegangen, weil diese unbedingt eine Impfung haben wollten aber noch nicht in der Impfgruppe waren. Und später haben sich einige Menschen beschwert, weil sie sich unter Druck gefühlt haben, sich impfen lassen zu müssen.

Und auch für die Studienteilnehmenden war und ist es immer noch ein grosser Aufwand: Da es eine sogeannte Längsschnittstudie ist, haben sie zu mehreren Zeitpunkten Fragebögen ausgefüllt und Blut abgenommen bekommen. Konkret haben wir ihnen wiederholt Blut abgenommen: Nach 2 Wochen, 4 Wochen, 3, 6 und 12 Monaten und jetzt noch jedes halbe Jahr. Und viele Menschen empfinden Blutentnahmen nicht als sehr angenehm. Wir sind den Studienteilnehmenden unglaublich dankbar. Nur dank Menschen, die mitmachen, die bereit sind an Studien teilzunehmen, Blut abzugeben und vorbeizukommen – nur dank ihnen können wir Daten sammeln. Gute Daten, basierend auf einer Zufallsstichprobe, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Das liegt mir wirklich sehr am Herzen: «Ein riesiges Dankeschön an alle Studienteilnehmenden». Alle profitieren von den Ergebnissen, die wir durch solche Studien gewinnen.

Und ich hatte grosse Freude daran, wie viele vom Studienteam total motiviert mitgearbeitet haben. Wir haben alle am gleichen Strang gezogen. Das ganze Studienteam – zu dem auch Oliver gehörte – hat extrem viel gearbeitet.

Oliver: Ich kann mich dem nur anschliessen. Ich war ja mit vielen aus dem Studienteam im Büro und habe gesehen, wieviel Aufwand das auch für sie war. Sie kannten die einzelnen Teilnehmenden. Und den zweiten Punkt, den ich super spannend fand: Ich habe ja wie gesagt selber in dem Impfzentrum gearbeitet und konnte daher diese Erfahrungen mit den geimpften Personen, in die Entwicklung der Fragestellungen miteinfliessen lassen. Ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen. Wir haben schlussendlich viele der wichtigsten Fragen der Menschen, die ihnen auf dem Herzen lagen, wissenschaftlich beantworten können. Und super Antworten bekommen. Die Daten haben genau das abgebildet, was die Menschen selbst gespürt und im Alltag gehört haben. Das hat mich sehr positiv überrascht und unterstreicht den Wert von «real-world data», ergänzend zu Labordaten und Zulassungsstudien.

Anja: Die Veröffentlichung, die hier vorgestellt wird, ist ja nur ein ganz kleiner Ausschnitt unserer Studie. Diese läuft weiterhin. Aber diese Ergebnisse sind ein sehr wichtiger Teil. Und ich glaube, das ist auch ein Teil, den die Bevölkerung sehr interessiert.

Interviewpartner:

Das Interview führte: Anne Bochard

Titelbild: ZVAC Studie, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention