Auf dem Rummelplatz der Covid-19 Apps

Auf dem Rummelplatz der Covid-19 Apps

Zusammenfassung

Regierungen vieler Länder hegen grosse Hoffnung auf die breite Nutzung von Apps, die z.B. anhand digitaler Kontaktermittlungen zur Bekämpfung der Pandemie beitragen sollen. Doch wozu werden diese genutzt, welche Qualitätsmerkmale werden angesetzt und wo mangelt es noch? Eine Forschungsgruppe aus Indien und den USA hat versucht, genau diese Fragen zu beantworten.

Hintergrund

Die COVID-19 Pandemie erschüttert weiterhin unsere Welt. Die zweite Welle ist in vollem Gange und Regierungen setzen alles daran, um den gesundheitlichen sowie wirtschaftlichen Schaden so gering wie möglich zu halten. Doch ist diese Pandemie nicht nur eine Katastrophe, sondern der Übergang zu einer Welt in der wir vieles überdenken müssen. Sei es wie wir leben, arbeiten, kommunizieren, miteinander umgehen, bis hin wie wir unsere Bildungs- und Gesundheitssysteme gestalten. In dieser Welt scheint die Digitalisierung eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Während die Fallzahlen weltweit steigen, sollen digitale Systeme dazu beitragen, die physische Distanz zu wahren und die Herausforderungen der Pandemie zu bewältigen. Videokonferenzen ersetzen persönliche Treffen, ein Telefonat den Besuch bei den Grosseltern und digitale Lieferdienste den Weg zum Supermarkt und Restaurant. Doch auch im Gesundheitswesen hat uns die COVID-19 Pandemie die Bedeutung der Digitalisierung erneut vor Augen geführt: So gehören Smartphone-Applikationen (Apps) zu den meistgenutzten Technologien im Einsatz gegen COVID-19.

Weltweit besitzen etwa sieben Milliarden Menschen ein Mobiltelefon. Mit einem immer wachsenden Zugang zum Internet, sind mehr als die Hälfte dieser Mobiltelefone Smartphones. Dies erlaubt einen breiten Zugriff auf viele und meist kostenlose Apps, unter anderem auch Gesundheits-Apps. Diese versprechen ihren Nutzern deren Gesundheit zu unterstützen oder gar zu verbessern. Dazu werden oft viele Funktionen genutzt. Sensoren erfassen Informationen, wie beispielsweise den Puls oder die gelaufenen Schritte, schnell und automatisiert. Algorithmen berechnen Kalorien und Nährwerte anhand von Fotos.  Virtuelle Assistenten unterstützen bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils und Erinnerungssysteme fördern die richtige Einnahme von Medikamenten. Obwohl diese Funktionen vielsprechend und vielfältig einsetzbar sind, bleiben die Qualität und Effizienz vieler Gesundheits-Apps noch fraglich oder unklar. Trotzdem setzen Regierungen vieler Länder grosse Hoffnung auf die breite Nutzung von Apps, so sollen z.B. digitale Kontaktermittlungen zur Bekämpfung der Pandemie beitragen. Dies hat zur schnellen Entwicklung und zum Einsatz vieler Apps geführt, oft unterstützt von national und regionalen Gesetzen. Doch wozu werden diese genutzt, mit welchen Qualitätsmerkmalen und wo mangelt es noch? 

Studieneigenschaften

Eine Forschungsgruppe aus Indien und den USA hat versucht, genau diese Fragen zu beantworten. Dazu wurde eine Mixed-Methods-Studie durchgeführt, die einen Überblick existierender COVID-19 Smartphone-Applikationen geben sollte. Diese wurden sowohl durch eine Literaturrecherche als auch durch eine Suche auf mobilen Plattformen (App-Stores) ermittelt. Die Studie beschreibt die Funktionen der Apps und bewertetet ihre Qualität in Bezug auf Engagement, Funktionalität, Ästhetik und Informationsverfügbarkeit. Analysiert wurden letztendlich 63 Apps und 10 wissenschaftliche Studien. Anhand eines häufig verwendeten Evaluationsinstruments „MARS“ (Mobile Application Rating Scale) erhielt jede App eine Qualitätsnote von 0 (niedrigste Qualität) bis 5 (höchste Qualität) basierend auf 23 Fragen. Um einen ersten Überblick zu schaffen, wurde der Studienfokus auf Asien, Nordamerika, Europa und Australien gelegt.

Hauptresultate

Die Studie ergab, dass die meisten Apps zur Aufklärung der Bevölkerung dienen, oft kombiniert mit Kontakt- und Verlaufsverfolgung von Betroffenen, während ein kleiner Teil Funktionen zur Symptom- und Hygienekontrolle, sowie der Schulung von Gesundheitspersonal bieten. Die Durchschnittsnote aller Apps lag bei 3.7, während nur 23 von 63 Apps eine Qualitätsnote von über 4 erhalten haben.  Die Apps aus Asien (hauptsächlich Indien) wurden als ausreichend interaktiv und technologisch ausgereift bewertet, allerdings mit mangelnder Qualität und Quantität an bereitgestellten Informationen. Im Vergleich dazu verfügen nordamerikanische und europäische Apps zwar über glaubwürdige und ausreichende Informationen, allerdings oft nicht kreativ, interaktiv und verständlich genug präsentiert.

Qualität der Evidenz

Im Bereich Engagement und Interaktivität erhielten nur 2 von 63 Apps die höchste Qualitätsnote (5). Eine davon ist die “First Responder” App der Stanford Universität, entwickelt speziell für Mitarbeiter des Gesundheitswesens, um deren Symptome zu überprüfen und bei Bedarf einen Testtermin zu vereinbaren. Mit einer übersichtlichen Selbstscreening-Funktion können Benutzer ihren Gesundheitszustand selbst einschätzen und weitere Hinweise in Bezug auf Quarantäne und Tests erhalten. Die App wurde als hochinteraktiv, anpassungsfähig und benutzerfreundlich bewertet. Im Bereich Funktionalität hat der Durchschnitt besser abgeschnitten, da 28 von 63 Apps die höchste Qualitätsnote (5) erhielten. Die Apps mit niedrigster Note (unter 2,5) wiesen oftmals keine ordnungsgemäss funktionierenden Hauptfunktionen auf und verfehlten somit ihren Zweck. Im Gegensatz dazu erreichten im Bereich Ästhetik nur 2 Apps eine Bestnote (5), beide mit sehr interaktiven und hochwertigen Grafiken. Die niedrigsten Noten für Ästhetik erhielten Apps, die anhand des Standortes vor einem möglichen Infektionsrisiko warnen. Grund dafür waren meist schlechte Grafiken und niedrige Benutzerfreundlichkeit. Im Bereich Informationsverfügbarkeit erreichten nur 2 Apps eine Note von über 4. Eine davon die NHS24: Covid-19 App des Vereinigten Königreichs. Basierend auf einer einfachen Symptomeinschätzung, bietet die App eine leicht verständliche COVID-19 Beratung sowie ein breites Spektrum an vertrauenswürdigen Informationsquellen.

Relevanz

Die Einsetzung digitaler Technologien zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie birgt viel Hoffnung und Rummel. Smartphone Apps gehören zu den am heissesten diskutierten, aber auch meist eingesetzten Technologien. Dies ist nicht überraschend, da sie mittlerweile für einen Grossteil der Bevölkerung sehr vertraut und leicht zugänglich sind.

Offen bleibt

Allerdings zeigt uns die oben beschriebene Studie, dass es noch an vielen Stellen mangelt. Der Fokus scheint auf korrekt entwickelten Funktionen zu liegen, ohne jedoch genügend Wert auf Interaktivität, Nutzer-Engagement, Ästhetik und Informationsqualität zu legen. Grund dafür ist die Dringlichkeit der Situation und eine eventuell übereilte, sogar überstürzte Entwicklung. Ebenso wichtig ist die Forschung zum Thema Datenschutz, sowie zu den Auswirkungen solcher Apps auf die Eindämmung der Pandemie und Unterstützung der Gesundheitsversorgung. Das Potential von Smartphone Apps zur Bekämpfung der Pandemie ist gross. Dieses kann allerdings nur ausgeschöpft werden, wenn die Apps sicher, benutzerfreundlich, ansprechend und wissenschaftlich belegt sind.

Autor

Titelbild: unsplash.com/ Pascal Brändle