Wohlbefinden der Erwerbsbevölkerung unter COVID-19

Wohlbefinden der Erwerbsbevölkerung unter COVID-19

Zusammenfassung

Die COVID-19-Pandemie hat uns unvorbereitet erwischt. Wir erlebten erhebliche Veränderungen im Arbeits- und Privatleben. Trotz dieser Herausforderungen zeigt unsere Studie, die am Center of Salutogenesis durchgeführt wurde, auch positive Auswirkungen dieser neuen Situation: Berufstätige in der Schweiz und in Deutschland waren während des Lockdowns zufriedener mit Arbeits- und Privatleben, konnten besser entspannen, Arbeits- und Privatleben einfacher vereinbaren und waren bei der Arbeit zudem engagierter als im letzten Jahr.

Hintergrund

COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Massnahmen stellen eine Herausforderung für Mitarbeiter*innen dar, ihre Gesundheit zu erhalten und gleichzeitig bei der Arbeit produktiv zu bleiben. Die Krise bedroht die Gesundheit der Mitarbeiter sowohl direkt als auch indirekt. Neben der direkten körperlichen Gefahr durch das Virus, wirkt sich die Angst, sich mit dem Virus anzustecken, zusammen mit finanziellen Sorgen und Sorgen um Familie und Verwandte negativ auf die psychische Gesundheit aus. Tatsächlich zeigen explorative Studien, dass Menschen, die während der Krise einen Mangel an sozialer Unterstützung durch Familie, Freunde und Kollegen erfahren, ein hohes Mass an Stress erleben und unter psychischen Problemen wie Angst und Depression leiden . Ein von Eurofound veröffentlichter Bericht zeigte, dass selbst Menschen, die nach der Aufhebung des ersten Lockdowns einige Verbesserungen in ihrer Arbeitssituation erfahren haben (z. B. die Rückkehr zur vollen Arbeitszeit), immer noch über ein hohes Mass an arbeitsbedingtem Stress berichten. Mit anderen Worten: Die globale Krise stellt ernsthafte Herausforderungen an das Funktionieren im Alltag und damit eine potenzielle Bedrohung für die Gesundheit dar, die über die direkte Gefahr einer Ansteckung und damit eines schweren Krankheitsverlaufs hinausgeht.

Studieneigenschaften

Da viele nationale und internationale Studien Daten erst nach dem Ausbruch der Pandemie erhoben haben, ist es schwierig, mögliche Veränderungen auf die Pandemie zurückzuführen. Daher haben wir eine im Jahr 2019 vermeintlich abgeschlossene Studie über „Situation bei der Arbeit und im Privatlaben sowie über Wohlbefinden“ zu reaktiveren. Während des Lockdowns in der Schweiz und in Deutschland befragten wir knapp 600 Erwerbstätige, die bereits im Juni 2019 Auskunft gegeben hatten. Dies ermöglichte uns, die Situation derselben Befragten vor und nach Beginn der Covid-19-Pandemie zu vergleichen. Wir erwarteten, dass sich Erwerbstätige in der Pandemie eher gestresster fühlen als zuvor. Gezeigt hat sich überraschenderweise die gegenteilige Tendenz.

Hauptresultate

Der Vergleich der Zahlen während des Lockdowns mit denjenigen von letztem Jahr macht deutlich, dass die Zufriedenheit mit dem Arbeits- und Privatleben grundsätzlich höher ist und beide Lebensbereiche als ressourcenreicher wahrgenommen werden: So berichten die Erwerbstätigen, dass sie ihre beruflichen Fähigkeiten weiterentwickeln und Neues lernen können, sich von Kolleg*innen, aber auch im privaten Umfeld besser unterstützt fühlen und vor allem besser kontrollieren können, wie und wann sie arbeiten. Ausserdem berichteten diejenigen, die im Homeoffice arbeiten, eine signifikant bessere «Work-Life Balance». Zudem gaben die befragten Personen an, sich besser erholen zu können. Die Arbeitsbelastung hat in der Tendenz leicht abgenommen, die Burnout-Werte gingen ebenfalls leicht zurück. Dies heisst aber nicht, dass ihr beruflicher Einsatz geringer war. Im Gegenteil: Das Arbeitsengagement hat über sämtliche Gruppen hinweg signifikant zugenommen. Ein Blick auf Untergruppen der Befragten zeigt, dass es auch Ausnahmen gibt: Bei Erwerbstätigen, die zugleich kleine Kinder betreuen haben sich die privaten Belastungen erhöht bei gleichbleibenden Arbeitsbelastungen. Im Unterschied zur Gesamtstichprobe konnten sie sich nicht besser erholen, was wenig erstaunt bei der Doppelbelastung von Erwerbstätigkeit und schulischer Betreuung.

Gründe für die positiven Tendenzen

Sicherlich fühlten sich die Erwerbstätigen verunsichert und überrascht von den Ereignissen. Viele mögen angesichts der aus den Fugen geratenen Welt diesen positiven Entwicklungen zumindest im Privat- und Arbeitsleben wohl nicht so ganz über den Weg trauen. Der Vergleich von Daten vor und während der Pandemie vor einem Jahr zeigt aber, dass viele mit ihrem Arbeits- und Privatleben zufriedener sind und von der Entschleunigung und Ruhe mehrheitlich profitieren. Vor allem der Zuwachs an beruflicher Flexibilität und Autonomie scheint sich positiv auf ihr Wohlbefinden auszuwirken. Das ist nachvollziehbar, da auch andere Studien berichten, dass arbeitsbezogene Autonomie dazu beitragen kann, den familiären Belastungen entgegenzuwirken, die mit Homeoffice einhergehen können. Angesichts der gleichzeitig positiven Entwicklung des Arbeitsengagements (das übrigens hoch mit objektiver Leistung korreliert), sollte dies unbedingt in die Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt einfliessen.

Wie geht es weiter?

Im Sommer sowie Ende 2020 haben wir die Befragten erneut kontaktiert. Um die 500 waren wiederum bereit, den online Fragebogen auszufüllen. Wenig überraschend hat sich hier eine Trendwende vollzogen. Unser Wohlbefinden und Glück befinden sich in einem dynamischen Gleichgewicht. Wenn irgendetwas Einschneidendes passiert (der Verlust eines Angehörigen oder ein Lottogewinn), bewegt sich unser Wohlbefinden weg vom Normalzustand, verschlechtert oder verbessert sich für eine gewisse Zeit, um dann in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Sprich: nach einer Verbesserung der selbst eingeschätzten Situation während des Lockdowns beobachten wir eine Abflachung zurück zum Normalzustand im Sinne eines Equilibriums. Die während des ersten Lockdowns zunächst positiv Auswirkungen für das Arbeits- und Privatleben (Entschleunigung beispielsweise durch Wegfall von Pendelzeiten) haben vermutlich ihre Wirkung eingebüsst, während negative Konsequenzen (Angst, Isolation etc.) dominant geworden sein dürften.

Empfehlungen

Damit das Homeoffice auch über den Winter nicht einem Risiko für die mentale Gesundheit wird, haben Michaela Knecht von der Fachhochschule Nordwestschweiz und Rebecca Brauchli folgende Empfehlungen zusammengestellt:

  1. Dauererreichbarkeit verhindern / Work-Nonwork Grenzen ziehen – Im Team und für sich selbst Regeln der Erreichbarkeit und Arbeitszeiten definieren und kommunizieren. Speziell für Führungskräfte: Vorbild sein. Wenn die Führungskraft zwar nicht erwartet, dass jemand am Abend und am Wochenende arbeitet, selbst aber am Samstag E-Mails schreibt, erzeugt dies impliziten Druck, der oftmals schwerer auszuhalten ist als expliziter.
  2. Produktivität fördern – bewusst Pausen machen und gut gestalten (gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und Entspannung) und sich vor Unterbrechungen schützen (E-Mails und Anrufe zeitweise stumm schalten).
  3. Struktur und Routinen aufbauen – Tätigkeiten definieren, die im Betrieb (sofern möglich) ausgeführt werden müssen. Tätigkeiten, die Ruhe benötigen, ins Homeoffice verlegen. Bewusster Übergang von Arbeit in Freizeit (Kleidung, Ort, Rituale etc.).
  4. Private Spannungen verhindern – sein privates Umfeld einbeziehen: Mit dem/der Partner*in, den Kindern besprechen, zu welchen Zeiten man arbeitet und nicht gestört wird und sich daranhalten.
  5. Soziale Kontakte strukturieren / Isolation vermeiden -Für genügend (auch informellen) Austausch mit Arbeitskolleg*innen sorgen, z.B. virtuelle Kaffeepause.

Autoren


Titelbild: unsplash.com/ Jan Baborák