Palliative Versorgung bei Krebs

Palliative Versorgung bei Krebs

Zusammenfassung

Krebs wird leider oft erst dann diagnostiziert, wenn sich bereits Metastasen gebildet haben. Viele Betroffene erhalten dann neben einem chirurgischen Eingriff Chemotherapie und Bestrahlung. Sind diese herkömmlichen Therapien jedoch ausgeschöpft, so wird ihnen oftmals Palliative Care angeboten. Ob Patienten von diesen palliativen Massnahmen profitieren können, ist ein deutsches Forscherteam des Universitätsklinikums Heidelberg nachgegangen. 

Hintergrund

Krebs ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. So starben im Jahr 2020 allein beinahe 10 Millionen Menschen an Krebs: Frauen insbesondere an Brustkrebs und Männer an Lugenkrebs. Die Heilungschancen einiger Krebserkrankungen können grundsätzlich mittels Vorsorgeuntersuchungen erhöht werden. Diese werden in der Schweiz unter anderem zur Früherkennung von Darmkrebs, Hautkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs sowie Prostatakrebs von den Krankenkassen übernommen. Trotz dieser präventiven Massnahmen wird Krebs oft erst dann diagnostiziert, wenn er bereits fortgeschritten ist oder bereits in andere Organe gestreut hat. Durch eine Operation kann der Krebs nicht mehr vollständig entfernt werden, so dass für diese Patienten nicht mehr die Heilung sondern unter anderem folgende Fragen im Zentrum stehen: «Wie viel Zeit bleibt mir noch?», «Wie kann ich meine Lebenszeit verlängern?», «Wie viele Nebenwirkungen bringt eine Therapie mit sich?», «Was bedeutet das für meine Lebensqualität?». 

Mit diesen Fragen gehen palliative Massnahmen zur Symptomlinderung und Entscheidungsfindung einher, damit die Behandlung vorzeitig geplant und Betroffene sowie Angehörige adäquat unterstützt werden können. Somit zielen diese Massnahmen nicht primär darauf, «dem Leben mehr Tage hinzuzufügen, sondern den Tagen mehr Leben zu geben», wie Cicely Mary Strode Saunders – die Gründerin von Palliative Care das Hauptanliegen von Palliative Care im Jahr 1977 beschrieb.

In der Schweiz wurden 2018 30% aller Krebspatienten, die im Spital verstorben sind, vor Ihrem Tod palliativ behandelt. Doch inwiefern können Patienten bereits zu einem früheren Zeitpunkt von palliativen Massnahmen profitieren? Und wie wirkt sich das auf die Lebensqualität, die Überlebensraten, Depression und die Intensität der Symptome aus?

Studieneigenschaften

Diesen Fragen ist eine deutsche Forschergruppe des Universitätsklinikums Heidelberg nachgegangen. Dazu haben die Forscher randomisierte kontrollierte Studien gesucht, bei denen die Auswirkungen von frühzeitigen palliativen Massnahmen auf die Lebensqualität, die Überlebensrate, Depression und die Symptomintensität mit üblichen Standard-Krebsbehandlung, bei Erwachsenen mit einer Krebsdiagnose im fortgeschrittenen Stadium, verglichen wurden. Frühzeitige palliative Massnahmen sind multi-dimensional und beinhalten unter anderem die Kommunikation über die Krankheit und Prognose, das Symptom-Erfassung und Management, Unterstützung im Umgang mit der Krankheit sowie regelmässige Kontrollen. Als «frühzeitig» werden jene Massnahmen bezeichnet, die innerhalb von acht Wochen nach der Krebsdiagnose stattfinden. Letztendlich haben die Forscher sieben Studien eingeschlossen und 20 laufende Studien gefunden, was die Aktualität dieses Themas unterstreicht. Die sieben abgeschlossenen Studien untersuchten insgesamt 1614 Krebspatienten, meist über 65 Jahre alt und mit unterschiedlicher Krebsdiagnose. Drei der sieben Studien haben als frühzeitige palliative Massnahmen eine Pflegeexpertin als Koordinatorin hinzugezogen und für die Behandlung verschiedene Fachdisziplinen miteinander verknüpft. Bei den vier restlichen Studien wurden die Patienten vom Onkologen direkt an Palliative Care Spezialisten weiter verwiesen. 

Hauptresultate

Die Resultate der sieben Studien deuten darauf hin, dass die Lebensqualität von Patienten mit einer Krebsdiagnose im fortgeschrittenen Stadium mittels frühzeitiger palliativer Massnahmen geringfügig verbessert werden könnte. Die Forscher zeigten zudem positive Effekte frühzeitiger palliativer Massnahmen auf die Symptomintensität. Unklar bleibt, inwiefern sich frühzeitige palliative Massnahmen auf die Überlebensrate und Depression auswirken. 

Qualität der Evidenz

Zur Beurteilung der Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse haben die Forscher Studien anhand des standardisierten Systems «GRADE» eingeteilt in sehr tiefe, tiefe, moderate und hohe Qualität. Sehr tiefe Qualität heisst, dass sich der wahre Effekt wahrscheinlich erheblich von der Effektschätzung basierend auf vorhandenen Studien unterscheidet. Hohe Qualität heisst, dass der wahre Effekt nahe bei der Effektschätzung vorhandener Studien liegt. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse von vier der sieben eingeschlossenen Studien variiert zwischen sehr tief und tief. Gründe für die tiefe Qualität sind unter anderem Unterschiede zwischen den Studien, Herausforderungen bei der Studiendurchführung und die geringe Anzahl qualitativ hochwertiger randomisierter Kontrollstudien. Insgesamt weisen die sieben Studien auf einen möglichen Effekt frühzeitiger palliativer Massnahmen hin, jedoch bedarf es noch mehr Studien, um Aussagen über einen tatsächlichen Effekt machen zu können. 

Relevanz

Frühzeitige palliative Massnahmen könnten sich positiv auf die Lebensqualität und die Symptomintensität von Patienten mit einer Krebsdiagnose im fortgeschrittenen Stadium auswirken. In welchem Ausmass diese Patienten von frühzeitigen palliativen Massnahmen profitieren können, muss in weiteren randomisierten kontrollierten Studien gezeigt werden. 

Offen bleibt

Der Cochrane Review zeigt, dass es einerseits schwierig ist, randomisierte kontrollierte Studien im Bereich Palliative Care durchzuführen und andererseits frühzeitigen Zugang zu palliativen Massnahmen zu gewährleisten. Die Herausforderungen liegen oft in der Rekrutierung und Vergleichbarkeit der Studienteilnehmenden und der Massnahmen, sowie der Versorgungsstrukturen in unterschiedlichen Ländern. Umso wichtiger ist, dass zukünftige Studien den Kontext, die Merkmale der Teilnehmenden, die Art der palliativen Massnahmen sowie die Standardversorgung exakt beschreiben.

Autorin

Sarah Ziegler

Titelbild: iStock.com / KatarzynaBialasiewicz