Ende der HIV-Übertragungen bis 2030 dank SwissPrEPared?  

Ende der HIV-Übertragungen bis 2030 dank SwissPrEPared?  

Ab dem 1. Juli 2024 werden die Kosten der HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) für Personen mit erhöhtem Risiko von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen. Mit dieser Massnahme möchte der Bundesrat das Ziel «Keine neuen Übertragungen mehr von HIV-, Hepatitis B- und C-Virus-Infektionen bis 2030» erreichen. Zu den Hintergründen der PrEP berichtet Benjamin Hampel im Rahmen der Fortbildung Public Health Zürich*. 

Bisher gibt es noch keine erfolgreiche Impfung gegen HIV. Daher ist eine der wichtigsten Strategien zur Beendigung von HIV die 90-90-90 Strategie der UNAIDS – d.h. 90 % der mit HIV infizierten Menschen kennen ihren HIV-Status, von diesen Menschen erhalten 90% eine antivirale HIV-Therapie und bei wiederum 90% davon ist die HIV-Viruslast unter der Nachweisgrenze. «In der Schweiz haben wir dieses Ziel gut erreicht – insbesondere bei der Therapiegabe und der Nachweisgrenze. Allerdings könnten wir noch etwas besser bei der Diagnose werden» berichtet Benjamin Hampel, Leitender Arzt des Checkpoints Zürich und Forscher am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention

PrEPPrä-Expositions-Prophylaxe

«Um die HIV-Übertragung in der Schweiz beenden zu können, braucht es allerdings mehr als die 90-90-90 Strategie. Auch wenn wir das Ziel erreichen, brauchen Menschen, die ein besonders hohes Risiko für eine HIV-Infektion haben, einen besonderen Schutz. Diesen Personen geben wir antivirale Medikamente – die PrEP – schon bevor sie ein Risiko eingehen» berichtet Benjamin Hampel. PrEP wurde 2012 von der Food and Drug Administration (FDA) in den USA und 2016 in der EU zugelassen. Die Zulassung in der Schweiz folgte 2020.

«Wenn PrEP richtig eingenommen wird, schützt es zu 99% vor einer HIV-Infektion. Eine 100% Sicherheit wird nie erreicht werden, da es immer wieder HI-Viren gibt, die resistent sind. In diesen Fällen kann die PrEP versagen» so Benjamin Hampel.
«Dass PrEP zu einer Abnahme der HIV-Neudiagnosen führt, konnten wir weltweit in den letzten Jahren sehen: So zeigte sich beispielweise in der Region um San Francisco eine um rund 50%-ige Reduktion der HIV-Neudiagnosen durch die Kombination von PrEP und einem verbesserten Zugang zur Therapie. Welchen Anteil genau die PrEP hierbei hat, kann man allerdings nicht genau sagen. Das gleiche gilt für London. Hier gab es einen 80%-igen Rückgang der HIV-Diagnosen. In der Schweiz haben wir in den letzten 2-3 Jahren einen Rückgang der HIV-Neudiagnosen von 30-35% gesehen. Auch hier stellt sich die Frage, ob diese Abnahme an Neudiagnosen allein auf PrEP zurückzuführen ist oder auch auf anderen Faktoren, wie beispielsweise die COVID-19 Pandemie» so Benjamin Hampel.  
All diejenigen, die PrEP erhalten, werden im SwissPrEPared Programm aufgenommen.

Schweizer SwissPrEPared Programm

«Ziel des SwissPrEPared Programms ist es, den Menschen in der Schweiz Zugang zu PrEP zu ermöglichen. Und das ist gar nicht so einfach» erklärt Benjamin Hampel. «Denn plötzlich gehen Tausende von jungen Leuten, die gesund sind, regelmässig – d.h. alle 3 Monate – zu einer Ärztin oder einem Arzt. Daraus ergeben sich Fragen, wie: Wie ist das Gesundheitssystem dafür gewappnet, diese Leute regelmässig zu sehen? Wie kann man das kosteneffizient machen? Wissen die Ärztinnen und Ärzte, wie man PrEP verschriebt? Und wie reden sie über sexuelle Gesundheit?

All diese Fragen haben wir angeschaut und Massnahmen eingeführt. Beispielsweise wurden Trainings für Gesundheitsfachpersonen sowie Leitlinien erstellt, zum Verschreiben der PrEP und worauf man dabei achten sollte. Auch haben wir die Medikamentenpreise durch Verhandlungen senken können: Anfangs kostete die PrEP 900 CHF. Jetzt nur noch 40 CHF pro Packung» berichtet Benjamin Hampel weiter. Neu zahlt dann ab 1. Juli 2024 die Grundversorgung Menschen mit erhöhtem Risiko für HIV-Infektionen die PrEP.
«Auch haben wir für SwissPrEPared ein Online Beratungs-Tool entwickelt, um Ärztinnen und Ärzte mit wenig Erfahrung mit der Verschreibung der PrEP zu unterstützen. Dieses Online Tool generiert viele Daten von mittlerweile rund 6500 Teilnehmende über die letzten 5 Jahre. Durch dieses Tool konnten wir auch auf neu auftretende Themen reagieren, wie z.B. die psychische Gesundheit von Männern, die Sex mit Männern haben – kurz MSM – während der COVID-19 Pandemie. Was die Kohorte angeht sind wir in der Schweiz führend. Ich kenne keine andere Kohorte, die es im gleichen Ausmass erlaubt, die PrEP zu untersuchen, wie unsere Kohorte» meint Benjamin Hampel.

Wie funktioniert das Schweizer SwissPrEPared Programm?

Alle Personen, die im Programm sind, werden per SMS an ihren nächsten Termin erinnert. Sobald sie einen Termin vereinbart haben, füllen sie einen Onlinefragebogen aus. Dieser enthält neben Fragen zur Einnahme der PrEP, Nebenwirkungen und psychischer Gesundheit (z.B. zu Depression) auch Fragen zum Substanzkonsum. Die wichtigsten Informationen aus diesem Fragebogen werden den Gesundheitsfachpersonen in einer Zusammenfassung angezeigt, welche hierdurch Zeit bei der Beratung sparen.

«Durch diese Fragebögen hoffen wir, die Patientinnen und Patienten gut und effizient versorgen zu können. So sind 80% der Patientinnen und Patienten der Meinung, dass durch das SwissPrEPared Programm sich die Qualität ihrer PrEP-Behandlung verbessert. Und die Gesundheitsfachpersonen profitieren auch von dem Programm, zum Beispiel durch die Leitlinien und Checklisten: Viele sagten, dass sie Punkte bei der Checkliste gesehen haben, die sie sonst vergessen hätten. Hier gibt es verschiedene wichtige Punkte, wie Osteoporose, die eine mögliche Nebenwirkung der Medikamente ist, oder wichtige Impfungen. Aber die zwei häufigsten genannten Punkte waren tatsächlich der Substanzkonsum – d.h. der Konsum von Drogen – und die psychische Gesundheit. Besonders schön war auch zu sehen, dass durch dieses Programm und die Checklisten einige Ärztinnen und Ärzte der teilnehmenden Zentren sogar angaben, dass sie Zeit gespart haben» berichtet Benjamin Hampel.

Wo und wen erreichen wir durch das Programm?

«Rund drei Viertel der Personen, die PrEP nehmen, erreichen wir über die Checkpoints. Im Moment erreichen wir v.a. eine Gruppe von MSM mit einem hohen Bildungsgrad, welche im Mittelwert 38 Jahre alt ist.
Um zukünftig besser auch jüngere Menschen zu erreichen, arbeiten wir sehr eng mit dem Kanton und der Stadt zusammen und bieten den unter 25-Jährigen oder auch Menschen mit niedrigen Einkommen die PrEP-Checks kostenlos an – d.h. die Konsultation und Laboranalysen. Durch dieses Angebot lassen sich mehr jüngere Menschen testen und beraten, was ich sehr schön finde» betont Benjamin Hampel. «Aber es gibt auch innere Hürden bei den Menschen – es ist nach wie vor ein grosses Stigma viele Sexualpartner zu haben und die PrEP zu brauchen. Gerade jüngere Leute möchten sich das nicht unbedingt selbst eingestehen. Viele suchen eigentlich eher nach einer romantischen Beziehung. Da gibt es ein bestimmtes Stigma, das wir durch bestimmte Kampagnen versuchen abzubauen» berichtet Benjamin Hampel.

Pilotprojekt: HIV-Beratung in der Reisemedizin

«Durch das SwissPrEPared Programm konnten wir v.a. MSM erreichen. Um auch zukünftig heterosexuelle Personen mit erhöhtem HIV-Risiko besser erreichen zu können, erarbeiten wir gerade im Zentrum für Reisemedizin der Universität Zürich ein Pilotprojekt. Die Idee ist, die HIV-Beratung in die Reisemedizin zu integrieren. Konkret muss man sich das folgendermassen vorstellen: Menschen, die während der Reiseberatung kommunizieren, dass sie allein reisen oder in bestimmte Länder oder Gebiete fahren, sollen zu sexueller Gesundheit und HIV angesprochen werden. Und denjenigen Menschen, die bereits planen in den Urlaubsländern Sex zu haben, können wir vor Ihrer Reise schon PrEP verschreiben. Dieses Projekt ist nicht ganz einfach, weil das ganz unterschiedliche Welten sind. Aber es ist ein sehr spannendes Projekt, und wir haben ein sehr motiviertes Team» berichtet Benjamin Hampel.

Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter: Die oftmals vergessene Gruppe

«Persönlich liegen mir die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sehr am Herzen. Auch da sie aus epidemiologischer Perspektive sehr wichtig sind und häufig vergessen werden» sagt Benjamin Hampel. In Zürich gibt es schon sehr lange ein Programm für Sexarbeitende. Viele von ihnen kommen allerdings nicht in die Checkpoints.

«Daher machen wir jetzt aufsuchende Präventionsarbeit. D.h. wir gehen direkt zu den Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern – z.B. vor Ort in die Langstrasse – und bieten dort 2-mal im Monat eine Sprechstunde und Schnelltests an. Wenn der Schnelltest negativ ist, dann bekommen sie eine Packung PrEP mit und können direkt am gleichen Tag mit der PrEP starten» so Benjamin Hampel. Das Projekt ist sehr erfolgreich: «Denn wenn einmal dieser Kontakt besteht und das Vertrauen aufgebaut wurde, dann kommen die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter auch für weitere Kontrollen zu uns» erzählt Benjamin Hampel.

PrEP und STI

«In der SwissPrEpared Kohorte konnte man einen Rückgang der STI – also der sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten– durch regelmässiges Testen sehen. Allerdings sehen wir diesen Trend in der Gesamtbevölkerung nicht. Im Gegenteil: Wir sehen steigende STI-Zahlen, wie Gonorrhöe, Syphilis oder Chlamydien. Das liegt in erster Linie daran, dass mehr getestet wird als früher. Zu einem gewissen Teil sicher auch daran, dass die Leute weniger Kondome benutzen. Aber auch durch das veränderte Sexualverhalten, beispielsweise durch Online-Dating-Apps, durch die man schneller zu Sex kommt» berichtet Benjamin Hampel. «Ein Ansatz, um auch in der Gesamtbevölkerung die Anzahl an STI zu senken, ist die sogenannte DOXY-PEP. Dabei nehmen die Leute ein Antibiotikum nach dem Sexualkontakt. Das hat tatsächlich eine Auswirkung auf Syphilis oder Chlamydien: Es wurden bis zu 70% weniger dieser Infektionskrankheiten gemeldet. Auf Pneumokokken-Infektionen hat DOXY-PEP allerdings kaum eine Auswirkung, da diese schon sehr resistent sind. Hier gibt es aber von meiner Seite sehr viele Fragen: Das Antibiotikum hat einen gewissen Einfluss auf das Mikrobiom. Zudem ist die Resistenzentwicklung bei Antibiotika ein grosses Thema» erklärt Benjamin Hampel.

Persönliche Zusammenfassung von Benjamin Hampel
Wir müssen weltweit denken, und nicht nur für die Schweiz. Wir müssen das Stigma gegen HIV und PrEP bekämpfen. Wir müssen uns um die mentale Gesundheit sowie den Substanzkonsum kümmern, da dies grosse Themen bei Menschen mit erhöhtem HIV Risiko sind. Und wir müssen den Zugang zu Präventionsmassnahmen insgesamt in der Schweiz überdenken. Wenn wir wirklich weltweit HIV bekämpfen möchten, brauchen wir mehr öffentliche Mittel, um Präventionsmassnahmen umzusetzen.  

Referent:

Der Vortrag kann hier eingesehen werden.

*Die «Fortbildung Public Health Zürich» ist eine gemeinsame Initiative des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich und dem Kantonsärztlichem Dienst, der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich. Das vollständige Programm finden Sie hier.

Bildquelle: SwissPrEPared