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Heute ist Tag der Pflege: Drei Fragen an Yvonne Ribi zum «Year of the Nurse and the Midwife»

12. Mai 2020 | HBZ | Keine Kommentare |

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Die Coronakrise fällt mitten in das Year of the Nurse and the Midwife der WHO. Mit der Veröffentlichung dieses vor dem Covid-19 Ausbruch geführten Interviews möchten wir unsere Dankbarkeit und Anerkennung für die Leistung der Pflegenden zum Ausdruck bringen.

Yvonne Ribi, Geschäftsführerin SBK

Yvonne Ribi ist Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, mit 25’000 Mitgliedern einer der grössten Berufsverbände im Schweizer Gesundheitswesen. Die diplomierte Pflegefachfrau hat vor ihrem Wechsel zum SBK unter anderem im Universitätsspital Zürich gearbeitet.

Interview: Ursula Reis

Frau Ribi, was ist ihre Aufgabe als Geschäftsführerin des SBK?

Yvonne Ribi: Der SBK ist ein grosser Berufsverband, mit Sektionen in der ganzen Schweiz, Fachverbänden, Interessengruppen und Kollektivmitgliedern. Die Geschäftsstelle hat übergreifende Aufgaben. Wir koordinieren, organisieren zum Beispiel den SBK Kongress, und sorgen dafür, dass die Ziele des SBK schweizweit umgesetzt werden können. Unser Team in Bern hat 25 Mitarbeitende, deren Vorgesetzte ich bin. Wir sind in Abteilungen organisiert, die alle wichtige Aufgaben haben, zum Beispiel Rechtsdienst, Pflegeentwicklung oder Bildung. Einen grossen Anteil macht auch die Redaktion der Zeitschrift Krankenpflege aus. In der Öffentlichkeit werden vor allem meine politischen Aktivitäten wahrgenommen. Im Alltag beschäftigen mich aber ebenso betriebswirtschaftliche Fragen. Unsere Mitglieder bezahlen ihre Beiträge freiwillig. Wir müssen dafür sorgen, dass die Gelder möglichst wirksam im Sinne der Mitglieder eingesetzt werden.

Die politische Arbeit ist sicher ein wesentlicher Teil meiner Tätigkeit. Für die Pflege gibt es gesetzliche Rahmenbedingungen, die immer wieder angepasst werden, sowohl auf Bundesebene wie auch in den Kantonen. Wir verfolgen sehr genau, welche Vorstösse gerade aktuell oder Gesetzesänderungen geplant sind und nehmen Einfluss. Das heisst, viel lesen, zu den Behörden gehen und Kontakte mit Politikerinnen und Politikern pflegen. Selbst wenn die Pflege nur am Rande von einer Veränderung betroffen ist, kann es wichtig sein, dass wir die Stimme des Pflegepersonals einbringen. Wenn beispielsweise eines der verschiedenen Finanzierungssysteme im Gesundheitswesen angepasst wird und Pflegeleistungen in den Tarifen nicht ausreichend finanziert werden, fehlt in der Praxis das Geld, genügend und ausreichend qualifiziertes Personal anzustellen. Das führt zu Überlastung und schlechteren Arbeitsbedingungen. Letztlich sinkt als Folge davon auch die Qualität in der Pflege, was wir als Berufsstand nicht hinnehmen können. Deshalb ist das politische Lobbying so wichtig.

Der SBK hat 2017 die Volksinitiative für eine starke Pflege (Pflegeinitiative) eingereicht. Inzwischen hat die zuständige parlamentarische Kommission einen indirekten Gegenvorschlag präsentiert. Was sind die wichtigsten Forderungen des SBK? Was ist vom Gegenvorschlag zu halten?

Yvonne Ribi: Als Verband greift man nicht einfach so zum Mittel der Volksinitiative. Wir haben den Schritt nach einer langen politischen Vorgeschichte gewagt. Zuwarten geht einfach nicht mehr. Die Schweiz steuert auf einen gewaltigen Fachkräftemangel zu. Bereits 2016 errechnete das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dass im Jahr 2030 aufgrund des demografischen Wandels 65’000 Pflegende fehlen werden! Laut BAG werden ohne zusätzliche Massnahmen 29’000 Pflegefachpersonen, 20’000 Fachpersonen Gesundheit und 16’000 Personen mit Berufsattest fehlen [1]. Das heisst, der Mangel wird beim höher qualifizierten Personal mit HF oder FH-Abschluss am grössten sein. Es werden aber auch mehr Fachpersonen Gesundheit mit Lehrabschluss benötigt. Wir müssen jetzt dringend handeln, damit die Patientensicherheit auch in Zukunft gewährleistet werden kann. Die Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen braucht Zeit und die Ausbildungen müssen auch noch abgeschlossen werden. Gleichzeitig bemühen wir vom SBK uns schon seit Jahren mit politischen Vorstössen, die Autonomie der Pflege endlich auch rechtlich zu anerkennen. In der Praxis wird das schon seit Jahren gelebt. Pflegefachpersonen erbringen bereits viele Leistungen eigenverantwortlich. Im Gesetz sind wir aber immer noch ein Pseudohilfsberuf.

Im Parlament gelang es uns in der Zusammensetzung von 2015-2019 nicht, Mehrheiten zu bilden. Deshalb brauchten wir die Unterstützung des Volkes um die Pflege auf das oberste politische Parkett zu heben. Die notwendigen 100’000 Unterschriften für die Pflegeinitiative hatten wir schnell zusammen. Wir glauben nach wie vor, dass sie gute Chancen hat, sollte es zu einer Volksabstimmung kommen. Der erste Erfolg ist aber bereits, dass die Bevölkerung das Parlament nun dazu gezwungen hat, sich mit Pflege zu befassen. Damit wurde auch uns eine Stimme gegeben. Wir sind der Berufsverband und müssen angehört werden. Die Gesundheitskommission des Nationalrats hat bereits einen indirekten Gegenvorschlag gemacht, der auf wichtige Forderungen der Initiative eingeht. Die Ausbildung soll gefördert werden und die Autonomie der Pflege anerkannt.

Was im Gegenvorschlag noch fehlt, sind Massnahmen, damit ausgebildetes Pflegepersonal im Beruf bleibt. Heute verlassen 46% der Pflegefachpersonen den Beruf während ihrem Erwerbsleben [2]. Das sind zu viele. Wir fordern deshalb, dass die Rahmenbedingungen für das Pflegepersonal verbessert werden. Dazu gehören natürlich bessere Arbeitsbedingungen, aber auch eine genügende Personalausstattung. Die Pflegenden sollten so arbeiten können, wie sie es in der Ausbildung lernen. Wenn Stellenpläne aus Kostengründen knappgehalten werden, muss das Personal ständig abwägen und auch notwendige Leistungen unterlassen. Darunter leidet die Patientensicherheit und es ist auch für das Personal belastend. Im Weiteren braucht es Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Weiterbildungsmöglichkeiten und attraktive Passerellen für Umschulungen und Wiedereinsteigende.

Wir führen dieses Interview anlässlich des «Year of the Nurse and the Midwife» das die WHO 2020 ausgerufen hat. Was bedeutet ein solches internationales Jahr für den Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner?

Yvonne Ribi: Das Engagement der WHO löst weltweit viel aus. Sogar Papst Franziskus hat seine Unterstützung für die Pflegenden und Hebammen bekundet. Die WHO fordert mit dem «Year of the Nurse and the Midwife» die Staaten auf bessere Bedingungen für die Pflegenden zu schaffen, denn sie sind es, die am nächsten bei den Patientinnen und Patienten sind.  Wir konnten für die Zeitschrift Krankenpflege den Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus interviewen. Er ermutigt die Schweiz, einen Chief Nursing Officer zu ernennen, also eine Amtsperson, die alle Geschäfte der Regierung auf ihre Auswirkungen für die Pflege prüft.

Eine solchen Chief Nursing Officer gibt es in vielen Ländern bereits. In der Schweiz sind ähnliche Stellen teils auf kantonaler Ebene eingeführt. Im Kanton St. Gallen etwa ist die Pflegefachfrau Anke Lehmann im Gesundheitsdepartement für den Bereich Pflege und Entwicklung verantwortlich. Im Bundesamt für Gesundheit hingegen gibt es bis heute keine Person mit einem solchen Profil. Expertinnen und Experten aus der Pflege werden teilweise in Begleitgruppen hinzugezogen, aber es wäre natürlich besser, wenn sie bereits in den mitentscheidenden Projekt- oder Steuergruppen vertreten wären.

Die Pflege wird allgemein zu wenig in Entscheidungsgremien beigezogen, obwohl sie ein wesentlicher Teil der Gesundheitsversorgung ist. Es ist schön, wenn wir Wertschätzung haben. In der Bevölkerung werden unsere Leistungen als Berufsgruppe regelmässig hoch bewertet. Neben Wertschätzung hätten wir aber gerne auch das Vertrauen, dass wir bei der Gesundheitsversorgung und in den Institutionen mitentscheiden können. Dafür engagiert sich der SBK. Die Pflege ist ein zentraler Faktor für die Dienstleistung eines Spitals. Sie soll entsprechend ihrer Bedeutung auch in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen vertreten sein.

Ursula Reis ist Fachreferentin in der Hauptbibliothek – Medizin Careum

[1] Obsan Bericht 71 (2016), Gesundheitspersonal in der Schweiz: Bestandesaufnahme und Prognosen bis 2030. https://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/gesundheitspersonal-der-schweiz.

[2] Obsan Bulletin 7 (2016). Berufsaustritte von Gesundheitspersonal. https://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/berufsaustritte-von-gesundheitspersonal

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