«Hier und jetzt» - so nah und einfach kann impfen sein

«Hier und jetzt» – so nah und einfach kann impfen sein

Zusammenfassung

Im Interview mit Jan Fehr, Professor und Departementsleiter Public & Global Health der Universität Zürich berichtet vom Erfolg von niederschwelligen Impfangeboten im Kanton Zürich. Diese sprechen v.a. Menschen an, die beispielsweise Angst vor Spital-ähnlichen Orten oder noch Fragen zur Impfung haben. Zuhören oder das Abwägen von Vor- und Nachteilen mit dem jetztigen Stand des Wissens kann so manche Unsicherheit bezüglich der Corona-Impfung abbauen. Auch beantwortet Jan Fehr die immer wiederkehrende Frage, ob wir demnächst ohne Maske einkaufen oder Tram fahren werden.

Zunächst haben sich viele Menschen in Impfzentren impfen lassen. Seit Anfang Mai werden zudem immer mehr Möglichkeiten für eine Impfung niederschwellig angeboten – sei es in Apotheken – oder auch mobil in Impfbussen des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI) der Universität Zürich (UZH) oder Impftrams. Werden diese Angebote genutzt?

Ja. Gestartet wurde in der Gemeinde Gossau des Kantons Zürich zusammen mit der Gesundheitsdirektion. Dort hat die Gemeinde die Menschen mobilisiert. Und das ist ganz wichtig. Es ist nicht nur der Impfbus selbst. Sondern genauso wichtig das Zeichen, welches man damit setzt: Nämlich, dass man zu den Leuten hingeht, so dass sich diese unkompliziert vor Ort ‘hier und jetzt’ impfen lassen können. Dadurch müssen sie sich nicht lange mit einer Registration auseinander setzten oder einen längeren Anfahrtsweg auf sich nehmen. All das wollen wir ihnen ersparen. Das Angebot besteht auch für Vereine, Ausbildungstätten, Schulen. Das ist eigentlich die Idee. Der Impfbus fährt einfach dort hin und erfreut sich grosser Beliebtheit: So haben bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich schon ungefähr 150 Gemeinden, Vereine, Bildungsinstitutionen nach einem solchen Angebot gefragt und tatsächlich kamen diese bereits schon rund 80 Mal bisher zum Einsatz. Im Impfbus wurden bereits rund 10’000 Personen seither geimpft. Seit dem 14. September ist das Impftram unterwegs, in dem sich bereits über 1’000 Menschen impfen liessen. Eine Idee, welche am EBPI der UZH entstanden ist und gerne von der Gesundheitsdirektion und dem Verkehrsbetrieben Zürich aufgenommen wurde. Das Tram ist quasi in der DNA der Zürcher verankert und bestens akzeptiert. Es ist die ideale Ergänzung zu den noch verbleibenden zwei Impfzentren (Referenzimpfzentrum UZH und Triemli) in der Stadt und den dezentralen mobilen Einheiten in den Gemeinden, denn es geht in die Aussenquartiere der Stadt und schliesst damit eine weitere Lücke.   

Und warst du auch einmal da in den Impfbussen?

Ja, war ich auch. Wir waren an der Uni. Interessanter Weise war die Zielbevölkerung ja Universitätsangestellte und Studierende. Aber wie es so geht, war ein Handwerker gerade in der Nähe, der für die Universität etwas renoviert hat, und hat sich für den Impfbus interessiert. Er liess sich auch impfen, da er gesehen hat, «wow, das ist ja so einfach, da kann ich kurz in der Mittagspause vorbeikommen.» Und das ist genau die Idee.

Und wie habt ihr Menschen dazu bewegen können, sich spontan im Impfbus impfen zu lassen?

Angesprochen haben wir die Leute nicht per se. Wir sind nicht den Leuten hinterhergelaufen. Es soll so niederschwellig und einladend wie möglich sein. Das ist die Idee. Wenn jemand vorbeiläuft und eine Frage stellt, dann gehen wir gerne in den Dialog und erzählen, welche Vorteile eine Impfung mit sich bringt. Und vor allem haben wir zugehört. Ich glaube das ist das Wichtigste. Einige hatten noch nicht so einfach Gelegenheit – das höre ich immer wieder. Das ist sehr speziell. Und da mache ich wirklich ein bisschen den Spagat. Die Menschen sind nicht nur einfach total pro oder total contra die Impfung; so wie das immer in den Medien ideologisch aufgeheizt wird. Sondern viele Leute sind irgendwo dazwischen. Die sagen: «Ja, puh, ich gebe mir noch ein bisschen Zeit.» Ist so ein bisschen wie Rechnungen bezahlen. «Das kann ich ja auch noch nächste Woche. Ich weiss ich muss es, aber gerade passt es mir nicht.» Das kennen wir doch alle. Und deshalb muss es so einfach sein wie möglich. Und jetzt ist es natürlich auch so ein bisschen: Die Leute, die sich wirklich impfen lassen wollten, die haben sich impfen lassen. Und bei den anderen, die mal zugucken und mal schauen wollen, wie es die anderen vertragen haben oder wie es der Gesellschaft geht, die sind jetzt an der Reihe. Es sind nicht jene, die mit Furore vornweg preschen. Es geht um diejenigen, die auch Fragen haben. Deshalb geht es zuallererst auch ums Zuhören. Bei jungen Frauen tauchen immer wieder Bedenken bezüglich Unfruchtbarkeit auf. Diese Unfruchtbarkeitsgeschichte hält sich unglaublich hartnäckig. Und dort können wir dann mit den Leuten ins Gespräch kommen.

Es gibt auch Leute, die haben Angst in ein Spital-ähnliches Setting – wie einem Impfzelt – zu gehen. Das schätzen sie dann sehr, wenn sie einen Bus und einen Gartenstuhl sehen. Und man sich draussen in den Liegestuhl setzten kann und es nichts mit einer Arztpraxis oder einer Klinik zu tun hat. Ich glaube das spielt auch eine Rolle.

Wie seid ihr mit Fragen umgegangen, für die es bisher keine Antwort gibt?

Gewisse Dinge soll man, kann man und muss man sogar stehen lassen. Wie beispielsweise, wenn jemand fragt: «Wie sieht das aus in 5-10 Jahren? Man hat doch diese Daten noch nicht was diese mRNA Impfstoffe angeht.» Dann muss man sagen «Ja, stimmt. Aber in der jetzigen Situation, wo wir einer Pandemie ins Auge schauen, was die ganze Gesellschaft lahmlegt, Leute auf die Intensivstation bringt und man vielleicht selbst einem schweren Verlauf ausgesetzt ist, da ist es eine Kosten-Nutzen Abwägung.» Und dieser müssen wir uns stellen. Und angesichts dieser Situation kann es dann ein Argument sein, zu impfen. Ohne zu sagen, dass das andere ist falsch. Das können wir nicht sagen, aber das Gebot der Stunde ist, diese Abwägung zu machen.

Wird es jetzt weiterhin die Impfbusse und Impftrams geben und wenn ja, wo finde ich als impfwillige Person dazu Informationen?

Ja, es wird weiterhin Impfbusse und Impftrams geben. Zum Beispiel findet man auf der Website des Kantons Zürich die genauen Daten, wann und wo gerade ein Impfbus oder auch eine Impftram ist.

Seit Juni können sich jetzt auch Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren impfen lassen. Viele Kinder und Jugendliche und deren Eltern sind allerdings verunsichert. Was würdest du den Jugendlichen und Eltern empfehlen und warum? Und wo können sich Kinder ab 12 Jahren impfen lassen?

Ich empflehle, sich an den Tisch zu setzten und darüber nachzudenken, welche Argumente könnten für einen selbst, einen weiteren Kreis und auch für die Gesellschaft für oder gegen eine Impfung sprechen. Am Anfang steht für mich eine Auslegeordnung. Es geht nicht darum, einfach mit Druck zu überzeugen. Es geht um diese Auslegeordnung und ein Abwägen, das man gemeinsam macht und damit kommt man auch denke ich zu einem guten Ergebnis. Ich habe es selbst erlebt, dass manchmal die Kinder selbst sagen «Ich will jetzt das. Diese ganze Testerrei ist mir sowieso zu bunt und ich leiste dann meinen Beitrag in der Pandemiebekämpfung.» Das hat mich im Herzen wirklich sehr erfreut. Und das war ein 14-Jähriger. Informationen für Kinder bzw. Jugendliche und ihre Eltern finden sich auf der BAG Website. Daneben kann auch mit dem behandelnden Kinderarzt gesprochen werden, insbesondere bei speziellen Situationen, wenn das Kind zum Beispiel eine Zusatzerkankung hat. Dann sollte das auf jeden Fall mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Ein weiteres Argument wäre sicher auch, dass wenn jemand in der Familie, sei es die Eltern oder z.B. die Grossmama oder der Grosspapa, welche das Kind betreuen, immunsupprimiert ist oder an einer chronischen Erkrankung leidet. Dann wäre das für mich schon mehr ein Argument bzw. ein gewichtiges Argument für eine Impfung.

Es wird immer wieder von Langzeitfolgen von Covid-19 gesprochen, treten diese auch bei Kindern auf?

Es gibt Hinweise, dass auch bei Kindern Langzeitfolgen auftreten. Diese äussern sich z.B. in Form von Konzentrationsstörungen, oder sie fühlen sich nicht mehr so, wie sie sich vor der Infektion gefühlt haben. Das ist wichtig, dass man das auch anerkennt. Insgesamt sind die symptomatischen Beschwerden bei Kindern gottseidank jedoch sehr selten. Daher ist davon auszugehen, dass Long-Covid bei Kindern eher selten ist.

Auch als vollständig geimpfte Person kann ich mich trotzdem mit Covid-19 anstecken. Ist hier das Risiko für eine Ansteckung geringer? Und wie sehen bei Geimpften die Langzeitfolgen und -prognosen aus?

Von Anfang an war klar, dass die Impfung 90-95%igen Schutz vor einer Infektion bzw. einer Erkrankung gibt. Man muss ehrlich sagen, dass diese 5 % oder 10% Lücke klein ist im Vergleich zu anderen Impfungen, wie beispielsweise der Grippeimpfung. Die Impfung gegen das Corona Virus ist also eine top Impfung. Das war damals beim Wildtyp. Es hat sich aber gezeigt, dass auch für Delta nach wie vor ein robuster Schutz besteht, insbesondere gegenüber schweren Erkrankungen, Hospitalisationen, Intensivstation oder sogar Todesfall. Ich glaube es ist wichtig, dass man sich das vor Augen führt: Mit Delta kann es vermehrt zu Durchbrüchen kommen, aber die Impfung leistet nach wie vor einen extrem hohen Schutz. Man muss sich immer wieder fragen: Schutz gegenüber was? Schutz gegenüber einer Infektion ist das eine. Das ist ja nicht mal so schlimm. Entscheidender ist der Schutz gegenüber schweren Erkrankungen oder Hospitalisierungen bzw. bei Verlegung auf Intensivstationen. Und insbesondere in diesem Bereich sind wir mit den mRNA Impfstoffen, trotz Delta – oder auch bei Delta – gut unterwegs. Es gibt insgesamt weniger Hospitalisierungen, weniger schwere Hospitalisierungen und weniger schwere COVID Fälle und überhaupt weniger Infektionen. Und damit bekommen auch weniger Menschen Long-Covid.

Die Pandemie hat auch Auswirkungen auf unsere mentale Gesundheit. Gibt es hier schon Daten in der Schweiz, wie die Covid-19 Pandemie auf die psychische Gesundheit aller in der Schweiz lebenden Personen auswirkt?

Es gibt verschiedene Daten. Das ist einerseits ein Problem und andererseits auch schön. Schön, da sich sehr viele Leute auf akademischer Seite damit auseinandersetzten. Und es kommt immer sehr darauf an, wie oder was man anschaut, zum Beispiel: «Welche Bevölkerungsgruppe?», «Wie war die Ausgangslage?», «Waren es eher Leute, die auch davor schon mental vulnerable waren?» oder «Wie alt waren die Menschen?» Und je nachdem was man anschaut, kommt man zu verschiedenen Schlussfolgerungen. Aber insgesamt – das darf man sagen – sind die Menschen bzw. die Gesellschaft unter der Pandemie enorm mental gefordert.

Gibt es eine Gruppe, die besonders häufig von psychischen Problemen durch die Pandemie betroffen ist?

Also Leute, die vor Corona isoliert waren, waren und sind während der Corona-Pandemie noch mehr isoliert. v.a. durch die Schutzbestimmungen. Denen ging es sicher nicht besser. Das ist klar. Für Leute, die auch mental vor Corona nicht so robust aufgestellt waren, ist die ganze Situtation auch ein Risikofaktor für weitere mentale Probleme. Die Ausgangslage spielt also schon eine grosse Rolle.

Jetzt leben wir schon fast 1,5 Jahre mit dem Virus in der Schweiz und viele Menschen sehnen sich nach Normalität und hoffen bald wieder ohne Maske einkaufen, oder Tram fahren zu können. Ist das schon bald möglich aus deiner Sicht? Oder werden wir uns einfach an das Maskentragen im öffentlichen Raum gewöhnen müssen?

Ich kann kein Datum nennen. Und ich glaube, dass es mittlerweile gar nicht mehr sinnvoll ist, hier in diesen Kategorien zu denken. Für mich ist eher ein Szenario, dass es in die Richtung geht, dass wir mit dem Virus leben müssen. Das heisst jetzt nicht unbedingt, auf diesem doch angespannten Level, auf dem wir jetzt gerade sind, sondern eher, dass das Virus unter uns ist und irgendwann die «Bissigkeit», diese «Schärfe» verliert, die es jetzt gerade hat und eher domestiziert wird und durch immer wiederkehrende Infektionen durch verschiedene Varianten bei Leuten, die schon Kontakt hatten – sei es durch die Impfung oder eben natürlicherweise – zu einer Abschwächung der gesamten Situation führt. Es könnte sein, dass es eine saisonale Geschichte wird, v.a. wenn es wieder kälter wird – wie bei vielen Viren der Atemwege – und man sich eher drinnen aufhält und dass es Zyklen gibt, in denen man sich immer wieder infiziert. Das ist dann aber nicht so schlimm, da das Immunsystem sich erinnert, dass es ja eine gewisse Abwehr dafür hat und dann macht man mal das so durch, wie – ich sage mal – einen anderen Herbst- oder Winterinfekt, d.h. eine leichte «Grippe», wo man eine Zeitlang ausser Gefecht und dann durchaus wieder nach ein paar Tagen gesund ist. Für mich wird es nicht einfach einen Tag geben, wo man dann sagen wird: «Jetzt ist es vorbei. Jetzt können wir die Masken ablegen, weil wir die Herdenimmunität erreicht haben», auch wenn dies erste Länder schon so verkünden. Das wird mit grosser Wahrscheinlichkeit ein fliessender Übergang sein.

Das Interview führte Anne Borchard

Titelbild: UZH