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Spital statt Denkmal

18. März 2019 | Martina Gosteli | Keine Kommentare |

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Anna Heer am ersten Schweizer Frauenkongress 1896 in Genf

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Zeit bedeutender Welt- und Landesausstellungen. Bis heute erinnert etwa der Eiffelturm an das Grossereignis von 1889. Für den Frauenkongress in Genf, der im Rahmen der zweiten Schweizer Landesausstellung stattfand, liessen sich die Verantwortlichen allerdings weniger von Paris als von der Weltausstellung in Chicago 1893 inspirieren. Dort war erstmals ein von einer Architektin entworfener Frauen-Pavillon zu sehen.

Im Auftrag des Bundesrats hatte Eduard Boos-Jegher aus Zürich den Anlass besucht. Nach seiner Rückkehr beschlossen er und seine Gattin Emma, eine bekannte Frauenrechtskämpferin, einen schweizerischen Frauenkongress zu organisieren. Es sollte ein nationaler Gedankenaustausch werden. Männer und Frauen kamen zu Wort. Gefordert wurden etwa mehr Stellen für Frauen in der Verwaltung und dass Frauen nicht länger von den Krankenkassen ausgeschlossen werden sollen, was damals gängige Praxis war.

Kongressband. Das Referat von Anna Heer trägt den Titel «Ausbildung in Krankenpflege» (Hauptbibliothek – Medizin Careum)

Ambitionierte Ziele

Die Ansprüche wirken im 21. Jahrhundert bescheiden. Wie keck sie für ihre Zeit waren, lässt das Einführungsreferat des Genfer Erziehungsdirektors erahnen. Er „fürchtete Übertreibungen“ wie die Einführung des Frauenstimmrechts. Auch das amerikanische Anliegen, Frauen seien zu allen Berufen zuzulassen, erschreckte ihn. Dies hätte doch bloss einen allgemeinen Rückgang der Gehälter zur Folge. Immerhin unterstützte er eine bessere Ausbildung der Mädchen, „nicht, um die Frau für den Existenzkampf zu wappnen, sondern vor allem, um ihr den Charakter zu bewahren, für den die Natur sie prädestiniert hat.“


Vorbild Florence Nightingale

Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund stellte die dreiunddreissigjährige Zürcher Ärztin Anna Heer ihre Vision vor. Sie wollte nach englischem Vorbild die Berufstätigkeit von Frauen in der Pflege fördern. Der „geschulten Hand“ der britischen „Nurse“, ausgebildet nach den Vorstellungen von Florence Nightingale, „möchte man gerne seine Patienten anvertrauen“ referierte sie.

„Am einfachsten und sichersten könnten wir zur Verwirklichung unseres Ideals von Pflegerinnenausbildung gelangen, wenn wir selbst der Sache uns bemächtigten und eine Pflegerinnenschule mit dem dazu gehörigen Spital gründen würden.“ Dieses Krankenhaus wäre „von Frauen ins Leben gerufen und von Frauen geleitet“ und stände „leidenden Frauen aus allen Landesteilen offen.“


Lebendiges Denkmal

Andere Kongressteilnehmerinnen waren ebenfalls mit eigenen Vorstellungen nach Genf gereist. Vor allem Bernerinnen wollten ein Zeichen setzen und Geld für ein Denkmal zu Ehren Gertrud Stauffachers sammeln, quasi als Pendant zum Altdorfer Tell-Monument, das im Jahr zuvor enthüllt worden war. Anna Heer nahm den Gedanken auf und spann ihn weiter. „In ihrer Mitte wurde heute die Anregung gemacht, auch einmal einer guten Frau ein Monument zu setzen. Möchte der Geist der hochherzigen Stauffacherin ihre Huld unserm Unternehmen zuwenden und das steinerne Bild in ein lebendiges Denkmal werkthätiger Nächstenliebe verwandeln.“ Also lieber ein Spital als ein Kunstwerk!

Sammelbüchse des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins (Universität Zürich, Medizinische Sammlung)

Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenverein

Anna Heer war sich bewusst, dass sich ihre Pläne nur mit einer breiten Unterstützung umsetzen liessen. Sie appellierte direkt an die bürgerlichen Frauen des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins, mit dem sie seit zwei Jahren in engem Kontakt stand. „Am besten würde die Aufgabe überall im Vaterlande die Sache der Pflegerinnen zu fördern, vom schweizerischen gemeinnützigen Frauenverein, der bereits dafür gearbeitet hat, übernommen. Die Pflegerinnen bedürfen solcher Unterstützung durch Frauen, die über Bildung und Zeit verfügen, in hohem Masse.“

Tatsächlich schafften es Anna Heer und der Gemeinnützige Frauenverein mit hohem persönlichen Einsatz bei Spendensammlungen und Benefizveranstaltungen in der ganzen Schweiz die nötigen finanziellen Mittel zusammenzubekommen. Nur fünf Jahre nach dem Auftritt von Anna Heer am Frauenkongress in Genf konnte die Pflegerinnenschule samt dazugehörigem Frauenspital in Zürich eröffnet werden.

Text: Verena E. Müller

Alle Zitate aus: Bericht über die Verhandlungen des Schweizerischen Kongresses für die Interessen der Frau abgehalten in Genf, im September 1896, Bern: Steiger 1897.

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